Eine Ohrfeige eröffnet die Verhandlung
7. September 2018In die Falle getappt
20. September 2018Vertriebler Rolf Mehrfolg betritt hinter der Assistentin den Verhandlungsraum. Sie weist ihm einen Platz am Tisch gegenüber dem großen Fenster zu. Auf der gegenüberliegenden Seite ist schon alles für Herrn Wichtig vom Einkauf vorbereitet. Ein Laptop steht auf dem Tisch. Ein Fläschchen Stilles Wasser und eine Kaffeetasse neben einem kleinen Kännchen mit Milch komplettieren das Bild. Auf Rolfs Seite steht: Nichts.
Schmoren lassen
Was würden Sie als Vertriebler in so einer Situation machen? Rolf jedenfalls setzt sich auf den ihm zugewiesenen Platz.
„Wenn Sie hier bitte warten wollen!“ Die Assistentin sieht Rolf interesselos an: „Herr Wichtig kommt wohl bald.“
„Na klar“, denkt Rolf, „Alles Taktik, die wollen mich schmoren lassen.“
Er blinzelt in der Sonne, die durch das Fenster in den Verhandlungsraum hinein scheint. Laut sagt er: „Danke.“
Schon spürt er, wie ihm warm wird. Eine Viertelstunde später ist es noch schlimmer. Es sieht so aus, als hätte Herr Wichtig vom Einkauf die Sonne direkt vor dem Fenster platziert. Rolf ist geblendet.
20 Minuten später ist sein Hemd auf dem Rücken durchnässt … Die Assistentin hat ihn taktisch gut am Tisch platziert. „Bald bin ich durchgebraten“, so denkt Rolf durstig und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch.
Gerne würde er einen Schluck Wasser trinken, aber vor ihm steht ja kein Fläschchen mit Wasser. Und die Flasche von Herrn Wichtig anzurühren, das traut er sich nicht. Schließlich will er von Herrn Wichtig den Auftrag bekommen – und nicht nur ein schnödes Gläschen Wasser.
Die Taktik lautet: Keine Augenhöhe aufkommen lassen
Was Herr Wichtig vom Einkauf mit Rolf dem Vertriebler macht, ist natürlich kein Zufall. Sondern die Einkäufer-Taktik des Mürbemachens. Jeder Vertriebler wird sie kennen und weiß, welchen Unterschied es macht, ob er ein Heim- oder Auswärtsspiel hat. Das Setting vor Ort ist für jegliche Manipulation hervorragend geeignet.
Herr Wichtig weiß, dass es sich blendend verhandeln lässt, wenn Herr Mehrfolg in der stechenden Sonne im eigenen Saft gegart hat. Die Möglichkeiten, die die Einkäufer haben, um Sie mürbezumachen, sind vielfältig. Das fängt schon bei der Terminfindung an: Erst lassen sie Sie auf den Vorschlag warten. Lehnen Ihren Vorschlag natürlich ab. Geben einen für Sie ungünstigen Termin vor. Ändern ihn. Sagen ihn kurzfristig ab. Setzen ihn kurzfristig erneut an …
Schon über diese Signale wirkt der Einkäufer auf Sie ein, bevor Sie beide auch nur ein einziges Wort gewechselt haben. Regelmäßig tun Ihre Verhandlungspartner schon im Vorfeld ihr Möglichstes, um zu verhindern, dass Sie zur Höchstform auflaufen.
Die Taktik hinter diesen sehr ernsten Spielchen ist: Keine Augenhöhe aufkommen lassen. Denn Augenhöhe ist das A und O jeder erfolgreichen Verhandlung des Vertriebs. Deshalb sollten Vertriebler alles daransetzen, genau diese so weit wie möglich zu erreichen.
Also was würden Sie an Rolfs Stelle tun?
Das ist eigentlich nicht vorgesehen …
Kehren wir an den Anfang zurück: Die Assistentin bittet Rolf in den Verhandlungsraum hinein und weist ihm einen Platz am Tisch gegenüber dem großen Fenster zu, durch das die kräftige Morgensonne scheint. Mit einem Blick auf den Tisch durchschaut Rolf die Taktik. Er lächelt die Assistentin mit seinem breitesten Lächeln an. „Können Sie mir bitte auch noch etwas zu trinken bringen?“
Sie zögert. „Ähm, na ja. Ist eigentlich nicht vorgesehen.“ Offensichtlich wartet sie darauf, dass er seine Bitte zurückzieht. Doch das tut er nicht, er schweigt und lächelt weiter erwartungsvoll. Schließlich dreht sie sich mit den Worten „Ich bringe Ihnen etwas“ um und verlässt den Raum.
Rolf wendet sich sofort dem Tisch zu. Der Platz von Herr Wichtig ist natürlich der beste: keine Tür im Rücken, kein gleißendes Fenster in Blickrichtung, genügend Bewegungsfreiheit zur Wand hin.
Also gut. Er schiebt entschlossen den Laptop von Herrn Wichtig und das Fläschchen Wasser samt Glas auf den Platz, der ihm zugedacht gewesen war. Er legt seine Unterlagen an die freigewordene Stelle und setzt sich. In diesem Moment kommt die Assistentin mit einem Glas Wasser in der Hand zurück. Sie stellt wortlos das Glas vor Rolf ab.
Grinsend greift Rolf nach dem Glas. Dann, mit gut einer halben Stunde Verspätung, betritt Herr Wichtig den Raum. Er stutzt. Sein Termin sitzt auf seinem Platz. Sein Laptop liegt nicht dort, wo er liegen sollte. Diesen Moment der Sprachlosigkeit ergreift Rolf, steht auf, hält ihm die Hand hin und sagt: „Ah, Sie sind da. Wir hatten zwar 10.00 Uhr vereinbart, doch ich nehme an, Sie ahnten schon, dass wir gar nicht lange brauchen. Da die Preise in unserem Angebot Festpreise sind, müssen wir uns nur über die Zahlungsbedingungen unterhalten. Wir haben einen sehr interessanten Vorschlag für Sie vorbereitet …“
Herr Wichtig setzt sich auf den Platz, der für Rolf gedacht gewesen war – und blinzelt in der Sonne. Rolf setzt sich auf Augenhöhe.
Würden Sie an Rolfs Stelle so handeln? Nein? Sie sollten aber so handeln, um auf Augenhöhe zu kommen und blendend zu verhandeln.